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Glossar

Phytomedizin (Pflanzenheilkunde)

Phytomedizin ist die Lehre und die Anwendung von pflanzlichem Material, das für medizinische Zwecke eingesetzt wird, um die Gesundheit zu unterstützen. Das pflanzliche Material kann von Blumen, Gräsern und Kräutern, Büschen oder Bäumen stammen oder aus Moosen, Flechten, Farnen oder Algen gewonnen werden. Entweder werden die ganzen Pflanzen verwendet, oder nur einzelne Teile wie die Blüten, Früchte, Blätter, Zweige, Borke, Wurzeln / Rhizome, Samen, pflanzliche Extrakte (z.B. Sirup) oder Kombinationen aus diesen Teilen. Phytomedizinische Arzneien werden in einer Vielzahl von Darreichungsformen angeboten. Einige Pflanzen werden am besten frisch verwendet. Das intakte oder zerkleinerte Pflanzenmaterial kann getrocknet für Aufgüsse verwendet werden (als Tee) oder als Sud bereitet werden (langsames Kochen bei schwacher Hitze). Blumen, Blätter und pulverartiges Pflanzenmaterial werden als Aufguss bereitet, während aus Früchten, Samen, Borke und Wurzeln ein Sud hergestellt wird. Das frische oder getrocknete pflanzliche Material kann meist in Alkohol aufbewahrt werden; andere können als Essigextrakte  oder Sirup gelagert werden. Pulver und gefriergetrocknetes Material sind als Ganzes erhältlich oder als Tabletten, Lutschpastillen, Salben oder Kapseln. Nicht-orale Darreichungsformen umfassen Cremes, Salben, Gele, Öle, Badezusätze, Kompressen, Dampfbäder, Präparationen zum Inhalieren und aromatische Öle. Die vorherrschende Darreichungsform hängt vom jeweiligen Kulturkreis ab. Phytomedizin ist kein scharf definierter Begriff. Es gibt nicht eine allgemeingültige Phytomedizin (Phytotherapie), sondern in verschiedenen Regionen / Ländern werden unterschiedliche Arten von Pflanzen, unterschiedliche Darreichungsformen und unterschiedliche zu behandelnde Krankheiten unter dem Begriff Phytomedizin zusammengefasst.

Grob lassen sich vier große Systeme unterscheiden, in denen pflanzliche Arzneien Verwendung finden: Traditionelle Chinesische Medizin (TCM), Ayurvedische Pflanzenheilkunde, Westliche Pflanzenheilkunde (die ursprünglich von Griechenland und dem römischen Reich ausgehend sich ins restliche Europa bis nach Nord- und Südamerika verbreitet hat) und die Traditionelle Arabisch-Islamische Medizin. In vielen traditionellen Systemen wird die Wirksamkeit einer Pflanze gegen ein bestimmtes Leiden ohne Zusammenhang zu der Zusammensetzung bzw. den Wirkstoffen in dieser Pflanze aufgestellt, weil die Techniken zur Isolierung und Bestimmung der Wirkstoffe noch relativ jung sind. Stattdessen stammt das Wissen um die Wirksamkeit bestimmter Heilpflanzen von speziellen Sinneswahrnehmungen (z.B. der Geschmack von Pflanzen, das Aussehen von Pflanzen) und von empirischen Beobachtungen der Wirkung bei Menschen und Tieren. Als Beispiel sei die Chinesische und Tibetanische Medizin genannt, in der die Heilpflanzen nach 5 Geschmäckern unterteilt werden: süß, sauer, salzig, scharf und bitter. Jeder Geschmack wird mit bestimmten Eigenschaften assoziiert und bestimmten physiologischen Wirkungen.

In Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika wurde die Pflanzenheilkunde bis ca. 1930 großflächig angewendet. Bis zu jener Zeit wurde auch an den medizinischen Universitäten grundlegende Pflanzentaxonomie und Pharmakognosie gelehrt. Danach setzte der Siegeszug der pharmazeutischen Arzneimittel ein, die den Gesundheitsmarkt heute dominieren.

Heilpflanzen haben vielfältige Wirkungsweisen, was zum Teil an ihrer Zusammensetzung aus einer Vielzahl an unterschiedlichsten Komponenten liegt. Das ist ganz im Gegensatz zu vielen pharmazeutischen Arzneimitteln, die meistens genau einen Wirkstoff haben, der für die Behandlung einer oder weniger Krankheiten ausgelegt ist. Die große Mehrheit der pflanzlichen Arzneimittel ist weniger wirksam als pharmazeutische Arzneimittel. Das Wissen um die Zusammensetzung pflanzlicher Arzneimittel steigt weltweit, weil sich die Möglichkeiten eine Inhaltsstoffanalyse durchzuführen stetig verbessern. Es besteht die Gefahr, dass durch die Identifizierung der einzelnen Inhaltsstoffe und die daraus folgende Kategorisierung und Erforschung dieser Inhaltsstoffe das Wesen der therapeutischen Wirksamkeit von pflanzlichen Arzneimitteln lediglich auf die Inhaltsstoffe reduziert wird und dabei darüberhinausgehende Heilwirkungen vernachlässigt oder ignoriert werden.